PDF der Stellungnahme zu drei aktuellen Gesetzesinitiativen für eine Ausweitung von DNA-Analysen in kriminalpolizeilichen Ermittlungen (Änderungen im §81 StPO).

Stellungnahme zu drei aktuellen Gesetzesinitiativen für eine Ausweitung von DNA-Analysen in kriminalpolizeilichen Ermittlungen (Änderungen im §81 StPO), 02. Juni 2017

Wir sind ein multidisziplinärer Zusammenschluss von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universitäten Freiburg i. Br., Newcastle (UK), FU Berlin, Basel (CH) und des Universitätsklinikums Freiburg. Im Dezember 2016 haben wir uns in einem Offenen Brief gegen die sofortige, nicht-regulierte Einführung von erweiterten DNA-Analysen in der Forensik ausgesprochen.1

Drei derzeit geplante Gesetzesanträge würden zusammen zu tiefgreifenden Änderungen im Paragraphen (§81) der Strafprozessordnung führen. Alle drei haben mit der Erhebung, Speicherung und Verwendung von DNA- Spuren bzw. -Proben zu tun. Es geht um

[1] die Suche nach „Beinahe-Treffern“ in polizeilichen DNA-Datenbanken2;
[2] die Bestimmung von äußeren Merkmalen und der sog. „biogeografischen Herkunft“3;
[3] eine erhebliche Ausweitung der Datenbasis der DNA-Analyse-Datei des Bundeskriminalamtes, in der die DNA-Identifizierungsmuster (STR-Profile) gespeichert werden. Die Erhebung und Verwendung des sogenannten „genetischen Fingerabdrucks“ soll der des daktyloskopischen Fingerabdrucks auch erkennungsdienstlich angeglichen und auf alle Deliktarten ausgedehnt werden. Zudem sollen der Richtervorbehalt sowie die Informations- und Begründungspflicht für eine DNA-Entnahme entfallen.4

Sollten alle drei Änderungen beschlossen werden, würde die Gesetzeslage den Ermittlern weitgehend freie Hand bei der Erhebung und Handhabung von DNA-Proben und -Daten gewähren. DNA-Daten würden dann nicht nur zur Aufklärung von Verbrechen verwendet, sondern auch präventiv zur Gefahrenabwehr. Deutsche Ermittler bräuchten diesen Zugriff weder mit unabhängigen wissenschaftlichen noch mit rechtlichen Instanzen abzustimmen. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aller Bürger und Besucher Deutschlands – gerade auch derjenigen ohne Verbindung zu Straftaten – würde damit stark eingeschränkt.

Allerdings sind zentrale wissenschaftliche, rechtliche und ethische Aspekte der erweiterten DNA-Analyseverfahren wie auch deren Anwendung in polizeilichen Ermittlungen derzeit nicht geklärt.5 In befürwortenden Darstellungen werden die Möglichkeiten der neuen Ermittlungsinstrumente weit überschätzt und zugleich die negativen Nebeneffekte marginalisiert oder ganz verschwiegen.

Wir legen im Folgenden unsere Bedenken sowie Forderungen nach einer multiperspektivischen, wissenschaftlich fundierten Behandlung der Thematik dar.

    1. Wir protestieren gegen eine übereilte Verabschiedung der drei Gesetzesinitiativen zur Änderung §81 StPO, die den Ermittlungsbehörden weitreichende Zugriffsmöglichkeiten auf die DNA-Daten vieler Bürger und Besucher Deutschlands sichern sollen. Der so überarbeitete §81 StPO würde das Recht auf informationelle Selbstbestimmung untergraben sowie zentrale rechtliche und ethische Grundsätze ignorieren. Es ist abzusehen, dass in polizeilichen Ermittlungen erweiterte DNA-Analysen zu häufig, in vielen Fällen unangebracht und dann kaum sachgemäß zum Einsatz kämen. Dies würde weder zu erhöhter Sicherheit noch zu einer besseren Aufklärungsquote beitragen.

 

    1. Wir kritisieren vor allem die resultierenden massiven Einschränkungen des Datenschutzes und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. DNA-Daten sind hochsensibel;6 staatliche Datenbanken sind nicht sicher; eventuelle Änderungen in den Zugangsbeschränkungen können zur Diskriminierung von Millionen Bürgern auf Basis ihrer genetischen Eigenschaften führen. Einer unbeschränkten Erhebung und Nutzung von DNA-Daten im Bereich der Verbrechensbekämpfung und Strafverfolgung entgegenzutreten bedeutet nicht, Straftäter zu schützen, sondern die große Mehrheit der gesetzestreuen Bürger und Zuwanderer vor einem tiefen Eingriff in ihre Privatsphäre zu bewahren. Es gilt, diese große Mehrheit nicht einem Generalverdacht auszusetzen und dabei womöglich das Vertrauen der Bevölkerung in Bereiche wie Forschung und Gesundheitssystem, die ebenfalls genetische Daten nutzen, zu gefährden.

 

    1. Wir weisen darauf hin, dass eine unsachgemäße Anwendung erweiterter DNA-Analysen zur Diskriminierung von Minderheiten führen kann. Die hohen Wahrscheinlichkeitsangaben in den Gesetzesentwürfen und in den Medien sind irreführend; die Fehlerquoten und deren konkrete Auswirkungen auf Ermittlungen sind bisher unzureichend bekannt und berücksichtigt. Die in den Gesetzesanträgen genannten Methoden sind gerade in der Anwendung auf Minderheiten besonders unzuverlässig.8 Einen praktischen Ermittlungswert haben die Methoden aber nur in Bezug auf Minderheiten.9 Zusätzlich zu den wissenschaftlichen Schwächen ergibt sich hier also ein rechtlicher Widerspruch zu Art. 3 GG.

 

    1. Wir lehnen einen frühzeitigen, flächendeckenden und routinemäßigen Einsatz der erweiterten DNA-Analysen in polizeilichen Ermittlungen ab. Die erweiterten DNA-Analysen sollten (wie in Großbritannien und den Niederlanden) nur als ultima ratio eingesetzt werden, wenn alle anderen Ermittlungswege ausgeschöpft sind. Sie sind außerdem nur in besonders gelagerten Fällen sinnvoll einzusetzen; über ihren Einsatz muss daher jeweils in Einzelfallentscheidungen befunden werden.

 

    1. Wir fordern einen sensiblen und sachlichen Umgang mit der Thematik in der Öffentlichkeit. Die einseitig positiven Stellungnahmen verschiedener Akteure haben zu einer verzerrten Wahrnehmung der technischen Möglichkeiten in der Öffentlichkeit geführt und populistischen und unrealistischen Vorstellungen von Sicherheit Vorschub geleistet. Eine angemessene wissenschaftliche und öffentliche Debatte steht erst ganz am Anfang. Politische Akteure sollten ihre große Verantwortung für das gesellschaftliche Klima ernst nehmen.

 

    1. Wir fordern stattdessen eine umsichtige, gründliche, vielseitig beratene Reform des §81 StPO, die den wissenschaftlichen, rechtlichen, sozialen und ethischen Anforderungen Rechnung trägt. Politische Entscheidungsträger sollten sich hierbei nicht nur von einer kleinen Anzahl an Forensikern und Ermittlern beraten lassen. Expertenberatung, zumal bei einem solch heiklen Thema, muss vielseitig und diskursiv sein. Wir fordern, weitere Experten wie z.B. Wissenschaftsethiker, Datenschützer, Statistiker und Populationsgenetiker in die Expertengremien mit einzubeziehen: zur kontinuierlichen Regulierung der Methodenanwendung, zur kontinuierlichen Fortentwicklung von Richtlinien und Qualitätsmanagement sowie zur Beratung besonders komplexer und öffentlich brisanter Fälle. Für die Etablierung solcher Expertengremien könnte man aus den entsprechenden Erfahrungen in Großbritannien und in den Niederlanden lernen.

 

    1. Wir fordern eine Qualitäts-Offensive für forensische DNA-Analysen. Die wissenschaftlichen Grundlagen und Komplexität dieser DNA-Analysen werden derzeit von den meisten Ermittlungsbeteiligten nicht ausreichend verstanden. Insbesondere Ermittlungsbehörden müssen die wissenschaftlich erwiesenen Grenzen dieser Technologien zur Kenntnis nehmen; ihre Praxis muss den berechtigten rechtlich-ethischen Bedenken Rechnung tragen. Die Vergabe- und Durchführungspraxis muss sich an höchsten Qualitäts- und Datenschutzstandards orientieren. Dafür gilt es, auch internationale Expertise heranzuziehen.

 

    1. Wir warnen vor der fortschreitenden Kommerzialisierung der forensischen DNA-Analysen in der Vergabepraxis der Aufträge durch die Ermittlungsbehörden. Der Preisdruck geht bereits jetzt zulasten der forensischen Genetik an den Universitäten. In Verbindung mit den neuen Bestimmungen für die DNA-Erhebung und Durchführung erweiterter DNA-Analysen hätte dies fatale Folgen. Ein aus Kostengründen flächendeckender, automatisierter und routinemäßiger Einsatz solch komplexer Analysen muss vermieden werden.

 

    1. Wir fordern, die forensische DNA-Datenerhebung und Datenspeicherung sicher, verantwortungsvoll, verhältnismäßig und ethisch legitim zu regulieren und zu kontrollieren. Dies gilt auch für die bisherigen Praktiken: In mehreren dokumentierten Fällen haben Polizeibehörden ihren rechtlichen Handlungsspielraum in Bezug auf die Erhebung und die Speicherung von DNA-Proben und -Daten überschritten.10 Dennoch überprüfen momentan weder die Datenschutzbehörden noch sonst irgendeine Institution die Rechtmäßigkeit forensischer DNA-Erhebungen und -Speicherungen fortlaufend und systematisch.

 

    1. Die politische und öffentliche Debatte um §81 StPO muss zum einen von der Migrationsdebatte und zum anderen auch von einzelnen, besonders spektakulären Kriminalfällen entkoppelt werden. In den Fällen, die bisher als geeignete Einsatz-Situationen für die neuen Technologien reklamiert wurden, ist äußerst fraglich, ob diese Technologien zu einem Ermittlungserfolg beigetragen hätten. Vor diesem Hintergrund halten wir es für unseriös und unverantwortlich, weiterhin zu behaupten, diese Fälle hätten grundsätzlich mit den neuen DNA-Analysen schnell und kostengünstig aufgeklärt werden können und man sei den Opfern und Angehörigen die Einführung dieser Methoden schuldig. Wir plädieren an alle an der öffentlichen Debatte beteiligten Akteure, die politische Auseinandersetzung um die Gesetzesänderung von diesen Kriminalfällen zu entkoppeln, damit Angehörige und Freunde von Opfern nicht länger damit belastet werden. Stattdessen ist eine gründliche Prüfung durch ein multidisziplinäres Expertengremium nötig, um zu beurteilen, ob sich ein Fall für den Einsatz der erweiterten DNA-Analysen eignet.

 

 

Offene Fragen

Bevor §81 StPO geändert wird, gilt es zahlreiche offene Fragen zu klären. Zu diesen zählen aus unserer Sicht folgende Punkte:

  • In welchen Fallkonstellationen wäre ein Einsatz der erweiterten DNA-Analysen überhaupt sinnvoll? Was bedeutet es für die Einführung der Technologien, wenn sie nur in besonderen Einzelfällen sinnvoll angewendet und dann nur mit hoher Sachkompetenz angemessen interpretiert werden können?
  • Wer wird die DNA-Analysen durchführen; aus welchem Budget werden die Kosten dafür gedeckt? Wer entscheidet über den finanziellen Rahmen?
  • Welche Aufwendungen entstehen jenseits der Kosten für die rein technischen Vorgänge – etwa für Schulungen und für die notwendigen Regulierungsinstitutionen? Welche Kosten entstehen vor allem durch die aufwendigen Sachverständigen-Gutachten, die mit der gebotenen Sachkompetenz zu erstellen sind? Wie müssten sich diese in der Kostenschätzung des Gesetzesantrages widerspiegeln?
  • Welche unabhängige Institution wird die wichtige Aufgabe der Kontrolle und Regulierung polizeilicher DNA- Datenerhebung und -nutzung in Zukunft übernehmen und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der vielen, noch nicht einmal von einem Verdacht betroffenen Menschen gewährleisten, deren DNA-Daten künftig in forensischen und erkennungsdienstlichen Kontexten erhoben und gespeichert werden?
  • Wie steht es um die molekulargenetische, statistische und rechtssoziologische Grundlagen-Ausbildung von Ermittlern, Richtern, Staatsanwälten und Verteidigern? Welchen Klärungs- und Nachbesserungsbedarf gibt es hier?
  • Welche checks and balances gibt es bereits und welche neuen checks and balances müssten mit einer Gesetzesänderung eingeführt werden, um sicherzustellen, dass Voreingenommenheiten gegenüber Minderheiten nicht zu einseitigen Interpretationen und vorschnellen Festlegungen der Ermittler führen, wie dies im Fall des „Heilbronner Phantoms“ geschah?
  • Wie können Ermittlungsmaßnahmen, die auf erweiterte DNA-Analysen folgen – insbesondere DNA- Reihenuntersuchungen und Öffentlichkeitsfahndungen –, so gestaltet werden, dass dadurch Minderheiten nicht unter Generalverdacht geraten?
  • Welche Bedenken haben in Deutschland lebende Menschen, wenn es um die Speicherung ihrer DNA-Daten (in Forschungsdatenbanken, im Gesundheitswesen, im Polizeiwesen) geht und wie kann diesen Bedenken im Rahmen rechtlicher Regulierungen Rechnung getragen werden?
  • (Wie) kann möglichem zukünftigem Missbrauch der DNA-Daten(banken) vorgebeugt werden?

Schlussbemerkungen: DNA als Wahlkampfthema

Sowohl die SPD als auch die CDU haben angekündigt, einen Passus zu den geplanten Gesetzesänderungen in ihr Wahlprogramm aufzunehmen. Vermutlich wird es dort noch stärker als bisher mit der Sicherheits- und der Migrationsdebatte verknüpft. Die Versuchung, dabei populistische Töne anzuschlagen, dürfte groß sein. Dieses hoch sensible und komplexe Thema sollte jedoch nicht als Wahlkampfthema missbraucht werden. Wir werden diese Entwicklung aufmerksam beobachten und bei Bedarf auch öffentlich kommentieren.

Unterzeichner

Prof. Dr. Veronika Lipphardt, University College Freiburg, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.
Prof. Dr. Anna Lipphardt, Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Dr. Matthias Wienroth, Policy, Ethics & Life Sciences (PEALS) Research Centre, Newcastle University, UK
Dr. Fabian Staubach, Institut für Biologie, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Dr. Nicholas Buchanan, University College Freiburg, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Prof. Dr. Carsten Momsen, Fachbereich Rechtswissenschaft, Freie Universität Berlin
Dr. Anne-Christine Mupepele, University College Freiburg, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Prof. Dr. Peter Pfaffelhuber, Abteilung für Mathematische Stochastik, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Dr. Tino Plümecke, Institut für Soziologie, Universität Basel, CH
Prof. Dr. Thomas Lemke, Institut für Soziologie, Goethe-Universität Frankfurt am Main
Dr. Mihai Surdu, University College Freiburg, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Prof. Dr. Anna Köttgen, Genetische Epidemiologie, Uniklinik Freiburg
Cedric Bradbury, University College Freiburg, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Sarah Weitz, University College Freiburg, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

 

1 Auf dem Symposium des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) am 21.3.2017 haben wir im Vortrag unsere Argumentation um einige wesentliche Punkte erweitert. Zudem druckte Nature eine von uns verfasste Correspondence ab. Weitere Texte und Materialien finden Sie auf unserer Website.

2 Entwurf eines Gesetzes zur effektiven und praxistauglichen Ausgestaltung des Strafverfahrens. Drucksache 18/11277

3 Entwurf eines Gesetzes zur Erweiterung des Umfangs der Untersuchungen von DNA-fähigem Material. Drucksache 117/1/17

4 Entwurf eines Gesetzes zur Angleichung von genetischem und daktyloskopischem Fingerabdruck im Strafverfahren. Drucksache 231/17

5 Unsere wissenschaftlichen Argumente hinsichtlich der Wahrscheinlichkeitsangaben in den Gesetzesanträgen finden Sie in Kurzform in Nature: Staubach F et al (2017). Für eine ausführlichere Version siehe das Manuskript unseres Vortrags auf dem Symposium des BMJV, 21.03.2017.

6 Zu Bedenken hinsichtlich der Wahrung des Datenschutzes bei der Speicherung von STR-Profilen siehe Rosenthal et al (2017); außerdem Nathan Collins Beitrag auf Stanford News.

7 Eine entsprechende DNA-Sammel-Praxis britischer Polizeibehörden wurde bereits 2008 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als unzulässig verurteilt; siehe: S & Marper vs The United Kingdom, EGMR, 04.12.2008 – 30562/04, 30566/04; dazu ein deutschsprachiger Medienbericht.

8 Siehe dazu das Manuskript unseres Vortrags auf dem Symposium des BMJV, 21.03.2017.

9 Siehe dazu ebd.

10 Siehe z.B. ein Interview mit dem damaligen Datenschutzbeauftragten des Landes Baden-Württemberg, Jörg Klingbeil (S. 5).