Unsere Bewertung des Kabinettsbeschlusses (Mai 2019) zur Strafrechtsreform

Die Einigung, erweiterte DNA-Analysen in Strafverfahren einzusetzen, sehen wir weiterhin kritisch, und zwar aus folgenden Gründen:

  • Wir sind der Ansicht, dass die Verfahren nicht ausgereift genug sind, um schon Einzug in das StPO zu erhalten.

Selbst BefürworterInnen schreiben in ihren wissenschaftlichen Arbeiten, daß die Tech­no­lo­gien nicht in allen Bevölkerungen für alle Merkmale zuverlässige Ergebnisse liefern, und daß dies erst detailliert untersucht werden müßte, bevor man die Technologien in Ermitt­lun­gen einset­zen kann (Kayser 2017).

So kann etwa braune Augenfarbe in man­chen Populationen in nur etwa 65% aller Fälle korrekt vor­­her­gesagt werden (siehe Tabelle 2 aus Caliebe et al. 2017).  Die mögliche Irreführung der Ermittlungsbehörden durch DNA, den Zeugen, der an­geb­lich nie irrt, wäre also beträchtlich.

  • Wir begrüßen, dass die Ermittlung der sogenannten biogeografischen Her­kunft einer Spur auch weiterhin ausgeschlossen sein wird.

Dies allerdings vor allem aus dem Grund, weil die Methode in Deutschland nicht sachgemäß und nicht vor­sichtig genug angewendet wer­­­den würde. Im europäischen Ausland haben ausgewiesene wissenschaftliche Ex­per­tIn­nen mit hoher gesellschaftlicher Sensibilität diese Tech­no­logie in sehr wenigen, gut be­grün­deten Ein­zel­fällen sachkundig und gesellschaftlich sensibel einsetzen können. In eini­gen wenigen Fällen konnte damit ein Ermittlungsfortschritt erzielt werden. Die Standards für einen solchen Einsatz müssen unseres Erachtens sehr hoch sein und sind bis­her noch nirgends aus­reichend ausgearbeitet worden. Da weder Politi­ker­Innen noch Er­mittlungs­be­hörden in Deutschland an solchen Standards interessiert zu sein scheinen, wäre zu er­war­ten, dass die Analyse der biogeografischen Herkunft hierzulande nicht sach­gemäß und nicht gesell­schaftlich sensibel erfolgen würde.

  • Wissenschaftlich betrachtet sind die Ana­lysen der phänotypischen Merkmale (Haut, Haar, Augenfarbe) nicht unbedingt zuver­läs­siger als die der biogeografischen Herkunft (siehe oben). Ermitt­lungstechnisch werden sie nur selten weiterhelfen.

So sagen sie alle Misch­­­farben (z.B. mittelbraune Haare, leicht dunklerer Teint, grüne Augen, etc.) mit ge­rin­ger Zu­ver­lässigkeit vorher (Sharma et al. 2019). Sagen sie eine helle oder gemischte Pigmentierung aller Merkmale voraus, lässt sich der Kreis der Tatverdächtigen kaum einschränken, da  die Mehrheit der  Menschen hierzulande helle und gemischte Pig­men­tie­run­gen haben. Wei­terführende Informationen ergäben sich nur, wenn die Technologie für alle Merk­male eine dunkle Pigmentierung vorhersagt. ErmittlerInnen würden also nur in diesen Fäl­len weiterer­mit­teln – das heißt, in einer verschwindend kleinen Anzahl. Den großen Wurf in punkto Si­cher­­heit für die Bevölkerung bietet diese Technologie also nicht. Uns ist außer­dem kein Fall aus dem Ausland bekannt, in dem die Analyse der Haar-, Haut- und Augenfarbe die ErmittlerInnen vorangebracht hat.

  • Wir mahnen an, noch vor einer Änderung der StPO zur Einführung der Erweiterten DNA-Analysen folgende Fragen zu klären:

    • Welche Kontrollinstanzen sind vorgesehen, um einen verhältnismäßigen Einsatz der Tech­nologie zu gewährleisten? Es reicht nicht aus, den Einsatz nur gesetzlich zu ord­nen; er muß auch praktisch, in der operativen Umsetzung, reguliert werden – was in denjenigen Ländern, in denen die Technologien bereits eingesetzt werden, auch der Fall ist. Der Richtervorbehalt, für den sich auch befürwortende Rechts­expertInnen ausgesprochen haben, wäre hier ein erster Anfang.

    • Bei welchen Straftaten sollen die Erweiterten DNA-Analysen zum Einsatz kommen? Viele ExpertInnen sind der Ansicht, dass sie nur bei schweren Straftaten und nicht als first-line-Instrument gleich zu Beginn einer Ermittlung zum Einsatz kommen sollen. Um wie viele Fälle pro Jahr wird es sich ungefähr handeln? Welcher Ressourcen­ein­satz ist für die zu erwartende Fallanzahl angemessen?

    • Welche wissenschaftlichen Standards sind für den Einsatz vorgesehen? Wie wird et­wa den Einschrän­kun­­gen aus Kayser 2017 (siehe oben) hinsichtlich der unter­schied­li­chen Vorhersage­ge­nauigkeit in verschiedenen Bevölkerungen Rechnung ge­tragen? Denn zu den maximal erzielbaren Werten für die deutsche Bevölkerung liegt keine ein­­zige Untersuchung vor. Und am jeweiligen Einsatzort  – z.B. in Großstädten – könn­te die Bevölkerungs­zu­sam­men­set­zung von der durchschnittlichen Bevölkerung ab­wei­chen.

    • Welche Rolle soll dem Schutz personenbezogener Gesundheitsdaten zukommen, denn die verwendeten genetischen Marker lassen unter Umständen auch Rückschlüsse auf Krankheitsdispositionen zu (Bradbury et al. 2018)

  • Ein „genetisches Phantombild“, wie Erweiterte DNA-Analysen immer wieder genannt werden, ist beim heutigen Stand der Technik nicht möglich.

Zahlreiche führende deutsche und internationale Forensische GenetikerInnen (so z.B. Prof. Dr. Peter Schneider, Leiter der Spurenkommission) haben mehrfach öffentlich be­tont, dass das „genetische Phantombild“ noch lange nicht machbar ist, und dass ein ent­sprechender Service, wie er derzeit in den USA angeboten wird, nicht se­riös ist. Daher for­­dern wir, dass deutsche PolitikerInnen endlich zur Kenntnis nehmen, dass sie sich nicht auf Wissenschaft berufen können, wenn sie behaupten, das „genetische Phan­tom­bild“ sei bereits möglich (so etwa Johannes Fechner, SPD, im Sonntag, 19.05.2019). Was mit den im Kabinettsbeschluss enthaltenen Technologien möglich ist, ist ein schlechter und in den meisten Fällen unzuverlässiger „genetischer Steckbrief“.

  • Aufgrund der technischen Schwierigkeiten und dem Fehlen von Kontextinformationen können DNA-Analysen nicht mit Aussagen von AugenzeugInnen gleichgestellt werden.

Die BefürworterInnen vergleichen die Erweiterte DNA-Analysen oft mit AugenzeugInnenen und heben die größere Zuverlässigkeit der Technologien hervor. Richtig ist, dass Augen­zeu­gInnen unzuverlässig sein können; ErmittlerInnen haben bereits viel Erfahrung mit diesem „mensch­lichen Faktor“ gewonnen und können in vielen Fällen vermeiden, dass Er­mitt­lungen dadurch fehlgeleitet werden. Daß die DNA-Technologien ebenfalls in vielen Fällen unzuverlässig sein werden und weshalb, wissen die ErmittlerInnen nicht. Die Fallstricke der Erweiterten DNA-Analysen sind den meisten noch vollkommen unbekannt. In keinem der Gespräche, die wir bisher geführt haben, gab es ein überzeugendes Konzept, wie Ermitt­ler­Innen geschult werden sollen, um die Ergebnisse der Erweiterten DNA-Analysen korrekt und verhältnismäßig interpretieren zu können.

Zudem haben AugenzeugInnen den DNA-Technologien einen ganz entschei­den­den Punkt voraus: Sie können Kontextdaten liefern; sprich, dichte Informationen über Klei­dung, Frisur, Größe, Verhalten etc., die die DNA nicht liefert. Es könnte etwa auch Fäl­­le geben, in de­nen ein Gesuchter genetisch betrachtet blond sein müsste, in Wirklich­keit aber braune Haare hat. Zum einen, weil blonde Haare im Erwachsenenalter nach­dun­keln kön­nen und die genetischen Analysen das nicht voraussagen können. Zum anderen, weil man Haare färben kann. Damit würden die ErmittlerInnen in die falsche Richtung wei­terermitteln.

Insgesamt kommen wir auf der Grundlage des aktuellen Kabinettsbeschlusses zu dem Schluss, dass die Bundesregierung die Komplexität und die Problematik der Erweiterten DNA-Technologien in vielerlei Hinsicht unterschätzt. Ein verant­wor­tungsvoller, wissenschaftlich akzeptabler Einsatz der Techno­lo­gien ist somit nicht zu erwarten.



Literaturempfehlungen

Lipphardt V (2018) Vertane Chancen? Die aktuelle politische Debatte um Erweiterte DNA-Analysen in Ermittlungsverfahren. Berichte zur Deutschen Wissenschaftsgeschichte 41:279-301. doi: 10.1002/bewi.201801900.

Kayser M (2017) Predictive values in Forensic DNA Phenotyping are not necessarily prevalence-dependent. Forensic Science International: Genetics 33:e7-e8. doi: 10.1016/j.fsigen.2017.11.006.

Caliebe A, Walsh S, Liu F, Kayser M, Krawczak M (2017) Likelihood ratio and posterior odds in forensic genetics: Two sides of the same coin. Forensic Science International: Genetics 28:203-210. doi: 10.1016/j.fsigen.2017.03.004.

Buchanan N, Staubach F, Wienroth M, Pfaffelhuber P, Surdu M, Lipphardt A, Köttgen A, Syndercombe-Court D u. Lipphardt V.(2017) Forensic DNA phenotyping legislation cannot be based on “Ideal FDP”—A response to Caliebe, Krawczak and Kayser. Forensic Science International: Genetics 34:e13-e14. doi: 10.1016/j.fsigen.2018.01.009.

Sharma V, Jani K, Khosla P, Butler E, Siegel D, Wurmbach E (2019) Evaluation of ForenSeq™ Signature Prep Kit B on predicting eye and hair coloration as well as biogeographical ancestry by using Universal Analysis Software (UAS) and available web‐tools. Electrophoresis 40:1353-1364, doi: 10.1002/elps.201800344.

Bradbury C, Köttgen A., Staubach F (2018) Off-target phenotypes in forensic DNA phenotyping and biogeographic ancestry inference: A resource. Forensic Science International: Genetics 38:93-104, doi: 10.1016/j.fsigen.2018.10.010.