Die Einigung, erweiterte DNA-Analysen in Strafverfahren einzusetzen, sehen wir weiterhin kritisch, und zwar aus folgenden Gründen:
- Wir sind der Ansicht, dass die Verfahren nicht ausgereift genug sind, um schon Einzug in das StPO zu erhalten.
Selbst BefürworterInnen schreiben in ihren wissenschaftlichen Arbeiten, daß die Technologien nicht in allen Bevölkerungen für alle Merkmale zuverlässige Ergebnisse liefern, und daß dies erst detailliert untersucht werden müßte, bevor man die Technologien in Ermittlungen einsetzen kann (Kayser 2017).
So kann etwa braune Augenfarbe in manchen Populationen in nur etwa 65% aller Fälle korrekt vorhergesagt werden (siehe Tabelle 2 aus Caliebe et al. 2017). Die mögliche Irreführung der Ermittlungsbehörden durch DNA, den Zeugen, der angeblich nie irrt, wäre also beträchtlich.
- Wir begrüßen, dass die Ermittlung der sogenannten biogeografischen Herkunft einer Spur auch weiterhin ausgeschlossen sein wird.
Dies allerdings vor allem aus dem Grund, weil die Methode in Deutschland nicht sachgemäß und nicht vorsichtig genug angewendet werden würde. Im europäischen Ausland haben ausgewiesene wissenschaftliche ExpertInnen mit hoher gesellschaftlicher Sensibilität diese Technologie in sehr wenigen, gut begründeten Einzelfällen sachkundig und gesellschaftlich sensibel einsetzen können. In einigen wenigen Fällen konnte damit ein Ermittlungsfortschritt erzielt werden. Die Standards für einen solchen Einsatz müssen unseres Erachtens sehr hoch sein und sind bisher noch nirgends ausreichend ausgearbeitet worden. Da weder PolitikerInnen noch Ermittlungsbehörden in Deutschland an solchen Standards interessiert zu sein scheinen, wäre zu erwarten, dass die Analyse der biogeografischen Herkunft hierzulande nicht sachgemäß und nicht gesellschaftlich sensibel erfolgen würde.
- Wissenschaftlich betrachtet sind die Analysen der phänotypischen Merkmale (Haut, Haar, Augenfarbe) nicht unbedingt zuverlässiger als die der biogeografischen Herkunft (siehe oben). Ermittlungstechnisch werden sie nur selten weiterhelfen.
So sagen sie alle Mischfarben (z.B. mittelbraune Haare, leicht dunklerer Teint, grüne Augen, etc.) mit geringer Zuverlässigkeit vorher (Sharma et al. 2019). Sagen sie eine helle oder gemischte Pigmentierung aller Merkmale voraus, lässt sich der Kreis der Tatverdächtigen kaum einschränken, da die Mehrheit der Menschen hierzulande helle und gemischte Pigmentierungen haben. Weiterführende Informationen ergäben sich nur, wenn die Technologie für alle Merkmale eine dunkle Pigmentierung vorhersagt. ErmittlerInnen würden also nur in diesen Fällen weiterermitteln – das heißt, in einer verschwindend kleinen Anzahl. Den großen Wurf in punkto Sicherheit für die Bevölkerung bietet diese Technologie also nicht. Uns ist außerdem kein Fall aus dem Ausland bekannt, in dem die Analyse der Haar-, Haut- und Augenfarbe die ErmittlerInnen vorangebracht hat.
- Wir mahnen an, noch vor einer Änderung der StPO zur Einführung der Erweiterten DNA-Analysen folgende Fragen zu klären:
- Welche Kontrollinstanzen sind vorgesehen, um einen verhältnismäßigen Einsatz der Technologie zu gewährleisten? Es reicht nicht aus, den Einsatz nur gesetzlich zu ordnen; er muß auch praktisch, in der operativen Umsetzung, reguliert werden – was in denjenigen Ländern, in denen die Technologien bereits eingesetzt werden, auch der Fall ist. Der Richtervorbehalt, für den sich auch befürwortende RechtsexpertInnen ausgesprochen haben, wäre hier ein erster Anfang.
- Bei welchen Straftaten sollen die Erweiterten DNA-Analysen zum Einsatz kommen? Viele ExpertInnen sind der Ansicht, dass sie nur bei schweren Straftaten und nicht als first-line-Instrument gleich zu Beginn einer Ermittlung zum Einsatz kommen sollen. Um wie viele Fälle pro Jahr wird es sich ungefähr handeln? Welcher Ressourceneinsatz ist für die zu erwartende Fallanzahl angemessen?
- Welche wissenschaftlichen Standards sind für den Einsatz vorgesehen? Wie wird etwa den Einschränkungen aus Kayser 2017 (siehe oben) hinsichtlich der unterschiedlichen Vorhersagegenauigkeit in verschiedenen Bevölkerungen Rechnung getragen? Denn zu den maximal erzielbaren Werten für die deutsche Bevölkerung liegt keine einzige Untersuchung vor. Und am jeweiligen Einsatzort – z.B. in Großstädten – könnte die Bevölkerungszusammensetzung von der durchschnittlichen Bevölkerung abweichen.
- Welche Rolle soll dem Schutz personenbezogener Gesundheitsdaten zukommen, denn die verwendeten genetischen Marker lassen unter Umständen auch Rückschlüsse auf Krankheitsdispositionen zu (Bradbury et al. 2018)
- Ein „genetisches Phantombild“, wie Erweiterte DNA-Analysen immer wieder genannt werden, ist beim heutigen Stand der Technik nicht möglich.
Zahlreiche führende deutsche und internationale Forensische GenetikerInnen (so z.B. Prof. Dr. Peter Schneider, Leiter der Spurenkommission) haben mehrfach öffentlich betont, dass das „genetische Phantombild“ noch lange nicht machbar ist, und dass ein entsprechender Service, wie er derzeit in den USA angeboten wird, nicht seriös ist. Daher fordern wir, dass deutsche PolitikerInnen endlich zur Kenntnis nehmen, dass sie sich nicht auf Wissenschaft berufen können, wenn sie behaupten, das „genetische Phantombild“ sei bereits möglich (so etwa Johannes Fechner, SPD, im Sonntag, 19.05.2019). Was mit den im Kabinettsbeschluss enthaltenen Technologien möglich ist, ist ein schlechter und in den meisten Fällen unzuverlässiger „genetischer Steckbrief“.
- Aufgrund der technischen Schwierigkeiten und dem Fehlen von Kontextinformationen können DNA-Analysen nicht mit Aussagen von AugenzeugInnen gleichgestellt werden.
Die BefürworterInnen vergleichen die Erweiterte DNA-Analysen oft mit AugenzeugInnenen und heben die größere Zuverlässigkeit der Technologien hervor. Richtig ist, dass AugenzeugInnen unzuverlässig sein können; ErmittlerInnen haben bereits viel Erfahrung mit diesem „menschlichen Faktor“ gewonnen und können in vielen Fällen vermeiden, dass Ermittlungen dadurch fehlgeleitet werden. Daß die DNA-Technologien ebenfalls in vielen Fällen unzuverlässig sein werden und weshalb, wissen die ErmittlerInnen nicht. Die Fallstricke der Erweiterten DNA-Analysen sind den meisten noch vollkommen unbekannt. In keinem der Gespräche, die wir bisher geführt haben, gab es ein überzeugendes Konzept, wie ErmittlerInnen geschult werden sollen, um die Ergebnisse der Erweiterten DNA-Analysen korrekt und verhältnismäßig interpretieren zu können.
Zudem haben AugenzeugInnen den DNA-Technologien einen ganz entscheidenden Punkt voraus: Sie können Kontextdaten liefern; sprich, dichte Informationen über Kleidung, Frisur, Größe, Verhalten etc., die die DNA nicht liefert. Es könnte etwa auch Fälle geben, in denen ein Gesuchter genetisch betrachtet blond sein müsste, in Wirklichkeit aber braune Haare hat. Zum einen, weil blonde Haare im Erwachsenenalter nachdunkeln können und die genetischen Analysen das nicht voraussagen können. Zum anderen, weil man Haare färben kann. Damit würden die ErmittlerInnen in die falsche Richtung weiterermitteln.
Insgesamt kommen wir auf der Grundlage des aktuellen Kabinettsbeschlusses zu dem Schluss, dass die Bundesregierung die Komplexität und die Problematik der Erweiterten DNA-Technologien in vielerlei Hinsicht unterschätzt. Ein verantwortungsvoller, wissenschaftlich akzeptabler Einsatz der Technologien ist somit nicht zu erwarten.
Literaturempfehlungen
Lipphardt V (2018) Vertane Chancen? Die aktuelle politische Debatte um Erweiterte DNA-Analysen in Ermittlungsverfahren. Berichte zur Deutschen Wissenschaftsgeschichte 41:279-301. doi: 10.1002/bewi.201801900.
Kayser M (2017) Predictive values in Forensic DNA Phenotyping are not necessarily prevalence-dependent. Forensic Science International: Genetics 33:e7-e8. doi: 10.1016/j.fsigen.2017.11.006.
Caliebe A, Walsh S, Liu F, Kayser M, Krawczak M (2017) Likelihood ratio and posterior odds in forensic genetics: Two sides of the same coin. Forensic Science International: Genetics 28:203-210. doi: 10.1016/j.fsigen.2017.03.004.
Buchanan N, Staubach F, Wienroth M, Pfaffelhuber P, Surdu M, Lipphardt A, Köttgen A, Syndercombe-Court D u. Lipphardt V.(2017) Forensic DNA phenotyping legislation cannot be based on “Ideal FDP”—A response to Caliebe, Krawczak and Kayser. Forensic Science International: Genetics 34:e13-e14. doi: 10.1016/j.fsigen.2018.01.009.
Sharma V, Jani K, Khosla P, Butler E, Siegel D, Wurmbach E (2019) Evaluation of ForenSeq™ Signature Prep Kit B on predicting eye and hair coloration as well as biogeographical ancestry by using Universal Analysis Software (UAS) and available web‐tools. Electrophoresis 40:1353-1364, doi: 10.1002/elps.201800344.
Bradbury C, Köttgen A., Staubach F (2018) Off-target phenotypes in forensic DNA phenotyping and biogeographic ancestry inference: A resource. Forensic Science International: Genetics 38:93-104, doi: 10.1016/j.fsigen.2018.10.010.