Stellungnahme als PDF

Statement von WIE-DNA zu Erweiterten DNA-Analysen im Gesetzesentwurf für die Modernisierung des Strafverfahrens, 08.10.2019

(Wir behandeln in unserem Statement nur DNA-Technologien für die Vorhersage von Haar-, Haut- und Augenfarbe sowie Biogeografischer Herkunft, nicht jedoch Technologien für die Vorhersage des Alters einer unbekannten Person.)

Der vorliegende Gesetzesentwurf ist unserer Ansicht nach nicht ausreichend, um einen verantwortungsvollen und nutzbringenden Einsatz erweiterter DNA-Analysen zu gewährleisten.
Wie und unter welchen Bedingungen wäre ein verantwortungsbewusster und nutzbringender Einsatz zu gestalten? Die wichtigsten Bedingungen, die bei jedem geplanten Einsatz der Erweiterten DNA-Analysen maßgeblich sein sollten, sind: (A) wissenschaftlich und operationell höchste Qualität, (B) gesellschaftliche Sensibilität und (C) verantwortungsbewusste Kommunikation

1. Folgende Maßnahmen schlagen wir für die Einführung der Technologien vor:

  • Gesetzesentwurf unter Einbeziehung aller relevanten Ex­per­ti­sen und Perspektiven aus­ar­bei­ten (einschließlich Min­­derheitenvertreterInnen und internationaler ExpertInnen).
  • Straftatenkatalog auf Schwerverbrechen einengen (ohne Einbrüche)
  • Richtervorbehalt in den Gesetzesentwurf aufnehmen
  • Beratungskommission für cold cases und aktuelle Ein­zel­fälle einrichten, in­ter­dis­zi­plinär besetzt (vgl. WIE-DNA-Statement vom 02.06.2017; siehe auch: Roewer/Ziegler 2019)
  • Nationale DNA-Ethikkommission einrichten, interdisziplinär besetzt (für forensische, me­di­zi­ni­sche und kommerzielle DNA-Anwendungen)
  • Neue wissenschaftliche Mindeststandards für die Anwendung der Technologien festlegen
  • Durchführung der Analysen in die Hände universitärer ExpertInnen (UFG) legen; wis­sen­schaftliche Transparenz bezüglich der Referenzdaten herstellen; Standards für Laborberichte festlegen
  • Fallbezogene Kommunikationsberatung der Ermittlungsteams einführen
  • Gezielte Ausbildung, Sensibilisierung, Anti-Bias-Training für AnwenderInnen einführen
  • Interdisziplinäre Forschungsprojekte fördern, z.B. zur Effektivität von DNA-Analysen in der Polizeiarbeit und im Justizsystem
  • Datenschutzressourcen für DNA-Daten bereitstellen
  • DNA-Datenbanken regelmäßig unabhängig überprüfen (auch in LKÄ)
  • Über bisherige Erfahrungen mit den Technologien transparent öffentlich berichten, sowohl erfolgreiche als auch enttäuschende oder irreführende Anwendungsbeispiele geben
  • Öffentliche Darstellung der Technologien korrigieren, wissenschaftliche und einsatzstra­te­gi­sche Grenzen aufzeigen, Erwartungen dämpfen

2. Drei wichtige Bedingungen müssen erfüllt sein:

A. Wissenschaftliche Qualität und einsatzbezogene Nützlichkeit: Ein ver­ant­wortungsbewusster Einsatz der Metho­den erfordert, dass allen Beteiligten die vali­dier­ten Einsatzbereiche, Gren­zen und Fallstricke der Technologien gut bekannt sind. Dafür sind der­­­zeit noch im­mer ver­stär­kte For­schungs­an­strengungen notwendig. Hinsichtlich der tech­ni­schen Reife und der An­wend­barkeit sind noch zahlreiche Fragen offen; derzeit wird zu beidem noch intensiv ge­forscht und wis­sen­schaft­lich diskutiert (siehe Anhang 1). In vielen Fäl­len wird die Tech­no­logie kei­ne ver­wert­ba­ren Er­geb­nis­se liefern können, etwa weil „Misch­werte“ zu un­si­cher sind und keine Fokus­sie­rung auf eine Gruppe er­lau­ben. Ausreichend hohe Vor­her­sa­ge­wahr­­schein­lich­kei­ten lassen sich nur für sehr we­nige phä­no­ty­pische Merk­mals­aus­prä­gun­gen er­­zie­len; alle anderen Vorhersagewahrscheinlichkeiten lassen sich nicht überall gleich gut er­zie­len, son­dern sind von der Zu­sam­men­set­zung der jeweiligen Bevölkerung vor Ort ab­hän­gig. Er­gibt die Ana­ly­se Merkmals­aus­prägungen, die häufig vorkommen, ergibt sich keine nütz­li­che Fo­kus­sie­­rung. Die Va­li­die­rung müsste demnach kon­text­spe­zi­fisch durch­geführt wer­den. Die Techno­lo­gien sind also noch nicht generell einsatz­reif. (siehe Anhang 1: Validität)

B. Gesellschaftliche Sensibilität: Ein verantwortungsbewusster Einsatz der Metho­den er­for­dert hohe ge­­sellschaftliche Sensibilität auf Seiten der AnwenderInnen. Derzeit sind die ge­sell­schaft­li­chen Risiken, vor allem das der Diskriminierung, auch im BMJ noch nicht aus­rei­chend be­kannt.(1) Diese betreffen Ängste und Rechte der BürgerInnen (siehe Anhang 2), insbesondere jedoch die Ge­fahr der Diskriminierung. Die Forensischen Gene­ti­ker Man­fred Kayser und Peter de Knijf schrie­ben 2011, zu den re­gu­la­torischen Fragen, die man bedenken müsse, zähle „non-dis­­crimi­na­tion (par­­ti­cu­lar­ly salient as FDP is most useful for tracing suspects from mi­no­rity groups)“.(2) Ge­sell­schaftliche Diskriminierung ist nicht nur in Form von „rassistischer Hetze“ zu befürchten; auch andere For­men von Diskri­mi­nierung können bei der FDP-geleiteten Fokus­sie­rung auf Gruppen auftreten. Zu vermeiden ist, dass die Analysen zu genetischem Racial Pro­fi­ling führen. Dieses Risiko – wie auch an­de­re Risi­ken – werden von interna­tio­na­len ExpertInnen sehr ernst genommen. Wei­tere Un­ter­­su­chungen sind notwendig; ansonsten würden Fehl­in­ter­pre­tationen, Ermittlungsfehler und so­gar gesellschaftliche Fehl­ent­wick­lungen (z.B. (Stigma­ti­sie­rung, Vertrauensverlust in die Arbeit der Ermittlungsbehörden, vermindertes Sicherheitsgefühl) in Kauf ge­nom­men. (siehe Anhang 2: Nützlichkeit und Sensibilität)

C. Verantwortungsbewusste Kommunikation: Ein verantwortungsvoller Einsatz der Me­tho­den er­for­dert ei­ne gut durch­dachte Kom­munikation aller Beteiligten mit und in der Öffentlichkeit, mit An­wen­derInnen und mit den voraus­sicht­lich am stärksten be­trof­fenen ge­sell­schaftlichen Grup­pen. Eine Technologie, die besonders nutz­brin­gend bei der Straf­ver­fol­gung von Tä­tern aus ge­sell­schaftlichen Minderheiten, aber kaum nutzbringend bei der Straf­verfolgung von Tä­tern aus der Mehrheitsgesellschaft ist, erfordert be­son­dere Sorgfalt bei der Planung von an­schlie­ßenden Fahndungsmaßnahmen. Die notwendige Sorgfalt betrifft sowohl die Kommuni­ka­tion zwischen BefürworterInnen und der Öffentlichkeit als auch zwischen Ex­per­tIn­nen und An­wen­derInnen. Haben BürgerInnen zu hoch ge­steck­te Er­wartungen an das Poten­tial der Tech­no­logien, die nicht erfüllt werden, kann das zu Miss­trau­en gegenüber den be­tei­lig­ten In­sti­tu­tio­nen führen. Haben ErmittlerInnen zu hoch gesteckte Er­war­tungen in das Po­ten­tial der Tech­nologien und verwenden die Ergebnisse unvorsichtig, kann dies zu Fehlermittlungen fü­hren.

3. Was wir befürworten und wogegen wir uns aussprechen

A. Wir befürworten eine umsichtige, gründliche, vielseitig beratene Reform des §81 StPO, die den wissenschaftlichen, rechtlichen, sozialen und ethischen Anforderungen Rech­nung trägt. Politische Entscheidungsträger sollten sich hierbei nicht nur von einigen we­ni­gen Fo­rensikerInnen, JuristInnen und ErmittlerInnen beraten lassen. Exper­tIn­nen­be­ratung muss bei ei­nem solch heiklen Thema vielseitig und diskursiv sein. Wir befürworten, wei­te­re Ex­pertIn­nen zumindest aus den Bereichen Wissenschaftsforschung, Datenschutz, Sta­tis­tik, Po­pu­la­ti­ons­­­genetik, Kri­minologie und Soziologie in die ExpertInnengremien mit ein­zu­be­zie­hen: zur kon­­ti­nu­­­ier­li­chen Regulierung der Methodenanwendung, zur kontinuierlichen Fort­ent­wick­lung von Richt­­li­ni­en und Qualitätsmanagement sowie zur Beratung besonders kom­ple­xer und öf­fent­lich bri­santer Fälle. Für die Etablierung solcher ExpertInnengremien könnte man aus den ent­sprech­en­den Er­fah­run­gen in Großbritannien und in den Niederlanden lernen.

B. Wir befürworten die Einrichtung einer multidisziplinären Beratungskommission für die Ein­zelfallberatung von Ermittlungsteams. Ein Richtervorbehalt sollte grundsätzlich die Prü­fung der Ver­hält­­nismäßigkeit sichern. Die wis­sen­schaft­li­chen Grundlagen der Analy­sen, ihre Aus­­sa­ge­kraft und ihre Einsatzgrenzen werden jedoch von vielen Er­mitt­­lungs­beteiligten und Ju­ris­­tIn­nen nicht aus­reichend verstanden. Anschließend ist eine gründliche Prüfung durch ein mul­ti­diszi­pli­näres Ex­pertInnengremium nötig, um zu beurtei­len, ob sich ein Fall für den Einsatz der Er­wei­ter­ten DNA-Analysen eignet, ob die Daten ausrei­chend aussagekräftig sind und ob auf dieser Grundlage das gesellschaftliche Risiko in Kauf ge­nommen werden kann. Ermitt­lungsbehörden müs­sen die wis­senschaftlichen Grenzen die­ser Tech­no­logien zur Kenntnis neh­men; ihre Praxis muss den be­rechtigten rechtlich-ethi­schen Be­denken Rechnung tragen. Die Ver­gabe- und Durchfüh­rungs­pra­xis muss sich an höchsten Qua­litäts- und Daten­schutz­stan­dards orien­tie­ren. Dafür gilt es, auch internationale Expertise he­ranzuziehen. Wir empfehlen zu­dem eine umfangreiche Qua­­litätsana­lyse der kommerziellen Forensik, d.h. von DNA-Analysen so­wie anderen Dienst­leis­­tun­gen, in der Vergabepraxis von Aufträgen durch die Er­mitt­lungs­be­hör­den, bevor weitere fo­rensische Dienstleistungen, wie z.B. erweitere DNA-Analysen, an pri­va­te Anbieter vergeben werden. Der Preisdruck geht be­reits jetzt zulasten der Forensischen Ge­netik an den Universitä­ten, wo die notwendige Grund­la­genforschung statt­finden muss, die wie­terhin für die erweiterten DNA-Analysen notwendig ist.

C. Wir sprechen uns gegen einen frühzeitigen, flächendeckenden und routinemäßigen Ein­satz der erweiterten DNA-Analysen in polizeilichen Ermittlungen aus. Es bedarf eines eng umrissenen Straftatenkatalogs im Gesetzesentwurf. Die Erwei­ter­ten DNA-Ana­ly­sen soll­ten nur bei Schwer­ver­brechen ein­ge­setzt werden, wenn andere Er­mittlungswege aus­ge­schöpft sind, und wenn die DNA mit sehr großer Wahrscheinlichkeit dem Täter zugeordnet wer­den kann (was z.B. bei Ein­brü­chen meist nicht der Fall ist). Sie sind außerdem nur in be­son­ders ge­la­gerten Fällen sinn­voll einzusetzen; über ihren Einsatz muss daher jeweils in Ein­zel­fall­ent­­schei­dungen be­fun­den werden.

D. Wir befürworten einen sensiblen und sachlichen Umgang mit der Thematik in der Öf­fent­lichkeit. Die einseitig positiven Stellungnahmen verschiedener Akteure haben zu über­zo­ge­­nen Erwartungen an die technischen Möglichkeiten in der Öffentlichkeit geführt und un­re­a­lis­ti­schen sowie po­pu­listi­schen Vorstellungen von Sicherheit Vorschub geleistet. Die bedenkliche Ver­­knüp­fung der Forderung nach den Technologien mit der Migrationsdebatte anhand einzel­ner spek­ta­ku­lä­rer Mordfälle hat zur Spaltung der Gesellschaft beigetragen. Politische Akteure und Ex­per­tInnen müssen ihre große Verantwortung für das gesellschaftliche Klima ernst neh­men. Alle Be­tei­ligten müssen eine realistische, trans­pa­rente und möglichst si­tu­a­tionsbezogene Dar­­stel­lung der Poten­tia­le, Gren­zen und Risi­ken der Technolo­gien an­streben, anstatt Einsatz­mög­­lich­keiten abstrakt und idea­lisiert darzu­stel­len. Da­zu ge­hört auch eine rea­lis­ti­sche Ein­schät­­zung der tatsächlich erreichbaren An­wen­­dungs­­qualität in einem konkreten, realen Kon­text. Wenn eine solche Kommunikation ausbleibt, ergeben sich falsche oder über­triebene Vor­stel­lungen davon, wofür die Technologie sinnvoll verwendet werden kann; Vor­stel­­lun­gen, die die konkrete Technologie-Anwendung prägen werden.

E. Wir befürworten, die forensische DNA-Datenerhebung und Datenspeicherung sicher, ver­ant­wortungsvoll, verhältnismäßig und ethisch legitim zu regulieren und unabhängig zu kon­trollieren. Die Rechtmäßigkeit forensischer DNA-Erhebungen, DNA-Speicherungen und DNA-Analysen muss unabhängig und systematisch überprüft werden. Bisher ist dies nicht der Fall; die Datenschutz­behörden sind mit einer solchen Aufgabe überfordert.

F. Wir weisen daraufhin, dass DNA-Daten datenschutzrechtlich hochsensibel sind, u.a. auch deshalb, weil sie nicht nur über das Individuum Auskunft geben, von dem die DNA-Probe stammt. Staatliche und kommerzielle Datenbanken sind nicht sicher; zudem können even­­tu­el­le Än­de­run­gen in den Zugangsbe­schränkungen zur Diskriminierung von Bürgern auf Ba­sis ihrer genetischen Eigenschaften führen. Das Vertrauen der Bevöl­ke­rung in Bereiche, die eben­­falls genetische Daten nut­zen, wie die Forschung und das Gesundheitssystem, kann in sol­chen Fällen Schaden nehmen.

G. Sollte die Zulassung der Analyse der „biogeografische Herkunft“ in Zukunft diskutiert wer­den, sehen wir die Dringlichkeit der oben genannten Maßnahmen als umso größer.

Viele Fachleute finden es unbefriedigend, die Vorhersage der BGA nicht zuzulassen. Die Vor­her­­sage der BGA und FDP lassen sich allerdings technisch nur begrenzt von­ein­an­der trennen, wenn weiterhin die bisher üblichen Testverfahren verwendet werden: So wer­den einige wichtige DNA-Mar­ker in beiden Techno­lo­gien verwendet; in Ermittlungsver­fah­ren werden phänotypische Merk­male zudem oft mit vermuteten Herkunfts-Gruppen ver­knüpft.

Wir sind der Ansicht, dass die Diskussion um BGA bisher der Komplexität der He­raus­for­derungen nicht ge­recht wird. Auf fachlicher Ebene sind hier noch viele Fragen offen:

Erstens: Welche Referenz­po­pu­la­tionen werden verwendet, oder werden diese fallspezifisch ein­­gesetzt? Bedeutet die Vor­her­sa­ge der BGA eine eindeutige kontinentale Zuordnung, eine sub­kontinentale Zuordnung, oder werden Mischungen anzestraler Populationen vorhergesagt? Welchen Analysestandards muss das eingesetzte Verfahren erfüllen?

Zweitens:  Die Ergebnisse werden stark von dem verwen­de­ten Kit und Merkmal-System (Y-chro­mosomal, mitochondrian, autosomal) abhängen, mit dem die Analyse durchgeführt wird. Ent­sprechend komplex ist die Interpretation der Ergeb­nis­se. Hinsichtlich der Analysestandards müss­te z.B. ge­klärt werden: Ist die konkrete, eingesetzte Methode gut genug, um die hohen Vor­­hersagewahrscheinlichkeiten des Berichts der Spuren­kom­mission zu erfüllen? Gelten diese auch in realistischen Anwendungs-Fällen, oder nur für Spuren, die einer bestimmten Referenz-Da­tenbank entnommen sind? Inwiefern sind die Fehler­wahr­scheinlichkeiten abhängig von der Po­pulation, in der das Verbrechen verübt wurde? In wel­chen Fällen soll besser kein Ergebnis über­mittelt werden, anstatt mit hoher Wahrschein­lich­keit falsch zu liegen? Welche Angaben soll ein (Labor-) Bericht enthalten, und bei welchen Wer­ten erfolgt keine Kommunikation der Resul­ta­te (z.B. bei Mischwerten)?

Drittens: Wir sind hinsichtlich des Risikos der „rassistischen Hetze“ zwar an­de­rer Ansicht als die Justizmi­nis­terin – Fo­ren­si­sche DNA Phänotypisierung (FDP) birgt ein ebenso großes Risiko für Diskrimi­nie­rung wie BGA –, aber vor allem sind die Risiken beider Technolo­gien kom­ple­xer und nicht nur im Be­reich ras­sis­tischer Ideo­lo­gie zu suchen. Die Kontextab­hän­gig­keit der Treffsi­cher­heit von BGA-Ana­ly­sen ist ausgesprochen vielschichtig und kom­plex und lässt sich nur im mul­ti­­dis­zi­pli­nären Dialog klä­ren. Gerade im Bereich sub­kon­ti­nen­ta­ler BGA und bei gemischter Her­kunft besteht die Gefahr von Fehl­in­ter­pretationen und Fehlfokussierungen.

ANHANG 1: Validität: Wissenschaftliche Grenzen der Technologien

Es ist zu klären, wie einsatzbereit, wie exakt, wie verlässlich die Tech­no­logien derzeit tatsäch­lich sind. ExpertInnen aus dem Bereich der Forensischen Ge­­­­netik sind sich in diesem Punkt nicht unbedingt einig.(3) Die hohen Wahr­schein­lich­keits­angaben, mit denen die Gesetzes­ent­würfe des Jahres 2017 argumentierten, und die sich zum Teil immer noch in den Referenzen des aktuellen Ge­set­zes­entwurfs fin­den, sind nach unserem Wissensstand nicht haltbar. Das Verständnis der Feh­ler­quellen ist eine un­ab­dingbare Voraussetzung für einen sachgerechten und gesellschaftlich sensiblen Um­­gang mit den Tech­nologien. Um als „forensisch validiert“ zu gelten, müssten die Technologien außerdem, wie etwa in UK üblich, in jedem Anwendungsla­bor einzeln va­­lidiert werden, bevor die Analysen dort ausgeführt werden können. Eine allge­mei­­­ne Labor-Akkre­di­tie­rung, wie hierzulande üblich, reicht nicht aus, um die Anwendungs­qua­li­tät zu sichern.

Forensic DNA Phenotyping

Die hohen Wahrscheinlichkeitswerte, die in der Öffentlichkeit und unter Befürworter­In­nen zir­ku­lieren, sind keine Vorhersagegenauigkeiten. Auch der aktuelle Gesetzes­ent­wurf irrt in die­sem wichtigen Punkt.(4) Vielmehr handelt es sich im Falle des FDP um Angaben zur so­ge­nann­ten „area under the curve“ (AUC), ein Wert, der die Per­for­man­ce ei­ner Methode unter Labor­be­din­gun­gen beschreibt. Die für die Ermittler inte­res­san­ten Vor­hersagegenauigkeiten lassen sich am ehesten mit den sogenann­ten „po­sitive pre­dictive values“ und „negative predictive va­lues“ angeben. Nur für zwei Merk­mals­aus­prä­gungen der Augenfarbe liegen diese Werte bis­her öffentlich vor: für blaue und brau­­ne Au­gen. Ein Forscherteam um Amke Caliebe hat dafür die DNA von Menschen aus acht verschie­de­nen europäischen Ländern untersucht. Für blaue Augen sind die Werte mit 84%-94% in allen Ländern relativ hoch (Caliebe 2017, p. 207). Für braune Augen ist der „positive pre­dictive value“ allerdings nicht in allen Ländern gleich hoch: in Nor­we­gen erreichte die Bestimmung der braunen Augen­far­be lediglich eine Genau­ig­keit von 65%, in UK 67%, in Holland 68%, in Estland 69%; in Italien und Frankreich mitt­lere 80er Werte; und nur in Griechenland und Spanien über 90%. In Ländern, in de­nen braune Augen eher selten sind, ist die Vorhersage also ungenauer. Für dunkle bzw. helle Haar- und Haut­far­be dürften diese Werte für die meisten Län­der deutlich niedriger ausfallen. Leider werden sie in der einschlägigen Literatur nicht pub­li­ziert, obwohl sie aus den vorhandenen Daten ab­zu­lei­ten wären. Sämtliche Misch­far­ben werden ohnehin, da sind sich alle ExpertInnen einig, mit noch deutlich geringerer Vor­hersagegenauigkeit vorhergesagt.

Das einzige Merkmal, das sich also in ver­schiedenen europäischen Ländern mit hoher Wahr­schein­lichkeit prä­zi­se voraussagen lässt, ist blaue Augenfarbe. Die AutorInnen ei­ner auf dieses Problem bezugnehmenden Publikation halten ent­spre­chend fest, dass die Tech­nologien sich noch nicht für den Einsatz in Ermittlungen eignen:

„[…] since the etiological understanding of FDP-relevant appearance phenotypes is still in­com­­plete, so are the prediction models used – and the corresponding predictive values vary to a certain degree. In consequence, these measures have to be determined empiri­cal­ly for each appearance phenotype, prediction model and target population of interest be­fore they can be applied sensibly in criminal casework.“(5)

Referenzdatenbanken und ihrer Repräsentativität

Wie komplex diese Aufgabe ist, zeigt ein Blick in den Bereich der wissen­schaft­lichen Vor­arbeit für diese Technologien. Die DNA-Daten, an denen die Me­tho­den im Labor entwickelt, trainiert und getestet werden, sind nicht nach dem Zu­falls­prin­zip erhoben, sondern mit einer Sampling­strategie: DNA-Daten einer Person wer­den nur dann in ein Da­ten­set aufgenommen, wenn ih­re Großeltern etwa aus einem bestimmten Land oder einer bestimmten Region stammen. Die Da­ten für „Norwegen“ sollten also von An­ge­hörigen alteingesessener norwegi­scher Fa­mi­li­en kom­men, die in den letzten drei Ge­ne­ra­tio­nen keine Migra­ti­ons­­er­fah­rung über die heu­ti­gen Lan­desgrenzen hin­weg ge­macht ha­ben, und in die keine Per­son mit „nichtnorwegischen“ Vor­fah­ren ein­ge­hei­ratet hat. Dasselbe gilt für die Daten aus Griechenland, Ita­lien, Groß­bri­tan­nien usw. Diese Bedingungen erfüllt nur ein kleiner Teil aller europäischen Familien. Die wech­sel­haf­­te Geschichte vieler europäischer Länder hat durch Ko­lonialismus, Um­sie­de­lun­gen, In­dus­tri­­a­li­sierung, Nahrungsknappheit, Na­tio­nal­staa­­ten­bil­dung und Kriege ein reiches Spek­trum zwi­­schen erzwungenen und frei­­wil­li­gen Mo­bi­li­tätserfahrungen her­vor­ge­bracht.

Deshalb ma­chen Fa­mi­li­en, deren Mitglieder alle aus ei­nem einzigen Land oder einer einzigen Bevölkerungsgruppe kommen, nur ei­nen Teil der Gesamt­be­völ­ke­rung aus. Die erzielten sta­tis­­tischen Werte sind jedoch le­dig­lich für die­sen Teil der Be­völ­kerung zu­tref­fend. Bei kom­ple­xer zusammengesetzten Gesell­schaf­ten – z.B. städ­ti­sche oder postko­lo­ni­a­le – treffen die Me­tho­den auf ihre Grenzen und produzieren oft falsche Vorhersagen. Hier fehlt noch das wis­sen­schaft­liche Verständnis dafür, wie es zu diesen falschen Vorhersagen kommt, und wie man die­­sen vorbeugen kann. Referenzdaten, die die gesellschaftliche Realität annähernd gut ab­bilden, wären ebenfalls ein wichtiger Schritt in Richtung einer zuverlässigen Anwendbarkeit.

ANHANG 2: Nützlichkeit und Sensibilität

Die Technologien können nur in wenigen, speziell gelagerten Fällen sinnvoll und weiter­füh­rend zum Einsatz kom­men. Da­bei hängt es we­sentlich von der gesellschaftlichen Sensibilität der be­tei­lig­ten Gene­ti­ker­In­­nen und Er­mittlerInnen und von den gewählten Anschluss­maß­nah­men ab, ob ein dis­­­­kriminierender oder stigmatisierender Effekt vermieden wird. Ge­nerell be­für­­worten wir daher einen um­sich­ti­gen, mehrstufigen Beratungsprozess und halten es für sinn­­­voll, die Technologien nur dann ein­zusetzen, wenn sie eine kon­krete Frage möglichst klar beantworten helfen. Für einen flä­chen­deckenden, first-line, routinehaften Einsatz taugen sie unseres Erachtens nicht; die zu erwartenden gesellschaftlichen Effekte wären zu risiko­be­haf­tet.

Bisher mangelt es etwa an Sensibilität für die Ängste vieler BürgerInnen rund um genetische In­for­ma­tio­nen. Der DNA und genetischen Analysenverfahren messen viele BürgerInnen be­son­­dere Be­deutung bei, da das Genom als sehr privat sowie als verknüpft mit Persönlichkeits­merk­ma­len und Identität gesehen wird. Aber auch Rechte, wie das Recht auf Nichtwissen (v.a. von unschuldigen Personen, die nur aufgrund der DNA-Analyse in den Fokus geraten), Da­­tenschutz oder internationale und nationale Antidiskrim­inierungsrechte werden von der An­wen­dung der Technologien berührt und müssen als relevante Probleme einbezogen werden. Anders als die genetische Identitätsfeststellung zielen die Er­wei­ter­ten DNA-Analysemethoden außerdem auf ganze Bevölkerungsgruppen, weshalb hier andere Bedenken und andere Schutz­­bedürfnisse zum Tragen kommen.

Diskriminierungsgefahr

Fasst man zusammen, in welchen Fällen die Technologien sichere Ergebnisse er­zie­len kön­nen und in welchen nicht, ergibt sich folgendes Bild: Blaue Augen lassen sich in vielen eu­ro­pä­ischen Län­­dern mit sehr hoher Genauigkeit vorhersagen, grüne, graue oder grüngraubrau­ne Au­gen aber nicht. Braune Augen lassen sich in manchen Ländern mit relativ hoher Ge­nau­igkeit vorhersagen, in anderen nicht. Für alle anderen Merkmale haben wir nur Anhaltspunkte, weil die positive/negative predictive values nicht vorliegen.

Geht man op­ti­mis­tisch davon aus, dass dunkle Haare und dunkle Haut sehr gut vor­hersagbar wä­ren und ebenso helle Haut und helle Haare, dann lautet die nächste Frage: Welche dieser Merk­ma­le und welche Merk­mals­­­kombinationen sind nützlich für Ermitt­lungen? Wann erlaubt ein Analyse-Ergeb­nis eine Fokussierung?

Gemischte Werte sind in allen Methoden unsichere Werte – sie sind also von vorn­he­rein nicht verläss­lich. Je nachdem, wie viele Menschen in der Nähe eines Tat­or­tes ge­misch­te Werte auf­­weisen – etwa graue Augen, mittelbraune Haare, heller bis leicht ge­bräunter Teint – wäre der von vorn­herein er­wart­bare Nutzen der Anwendung bei einem entsprechenden Ergebnis al­so nicht unbedingt gegeben. Am höchsten wäre er, wenn diese Gruppe sehr klein wäre und die Bevölkerung nur aus zwei gut unterscheidbaren Gruppen bestünde: sehr hell pig­men­tier­ten und sehr dunkel pigmentierten Menschen, denn dann wäre das Un­­terschei­dungspotential be­sonders groß. Niedrig wäre der Nutzen, wenn die Mehrheit der vor Ort lebenden Be­völ­ke­rung diese Merkmalskombination aufweist, denn dann lässt sich keine sinnvolle Fokussierung ab­­lei­ten. Die Analy­sen liefern nur dann einen brauch­ba­ren Ansatz, wenn sie auf ein vor Ort re­lativ sel­te­nes Merkmal hinweisen: In Deutschland z.B. dunkle Haut; sehr dunkle Haare und Au­­­gen; oder ausschließlich asia­ti­sche oder afrikanische Vorfahren. Nützlich sind die Er­geb­nis­se also nur, wenn sie ers­tens si­cher und zweitens selten sind. Damit gera­ten vor allem Min­der­heiten in den Blick.

Wenn die Methoden wirklich so effektiv ein­ge­­setzt werden können, wie die Be­für­worterInnen meinen, sollte man also eine er­höh­te Auf­klärungsrate in diesen Minderheiten erwarten. Die Auf­klä­rungsrate in der Mehr­heits­be­völkerung wird sich hingegen über­haupt nicht verändern, weil Ana­­lyse-Ergeb­nis­se wegen des mangelnden Fokussierungsgewinns re­gel­mäßig ver­wor­fen wür­den. Dies könnte u.a. einen verzerrenden Einfluss auf die Kriminal­statistik haben. Wäh­rend sich Min­der­hei­ten­ einem wie­der­hol­ten, er­höh­ten Er­mitt­lungs­druck allein aufgrund von äußerli­chen Merkmalen ausgesetzt sähen, wird sich der Er­mitt­lungs­­druck auf die Mehr­heits­be­völ­ke­rung nicht er­hö­hen. Für Täter, die der Mehrheitsbevölkerung angehören, ergibt sich daher auch kein Abschreckungseffekt.

Es sei ausdrücklich betont: Dieser Diskriminierungseffekt ergibt sich aus der be­grenz­ten Nütz­lichkeit spezifischer Analy­se-Ergebnisse, nicht etwa aus rassistischen oder stereotypen Ein­stel­lungen der ErmittlerInnen. Auch wenn alle ErmittlerInnen von vornherein anti-ras­sis­tisch ein­ge­stellt sind und zusätzlich Anti-Bias-Trainings durch­lau­fen, wird die zu erwartende An­wen­dung der Technologien diesen Effekt haben. Es geht hier nicht darum, die ErmittlerInnen als rassistisch oder diskri­mi­­­nierend zu diskreditieren, sondern die systematischen Schwächen und Probleme einer Technologie im gesellschaftlichen Kontext zu erkennen.

Mittlere oder gemischte Werte sind mit allen Methoden nur unsicher zu bestimmen; sie sind al­so von vornherein nicht verlässlich. Je nachdem, wie viele Menschen in der Nähe eines Tat­or­tes mittlere oder gemischte Werte aufweisen – etwa graue Augen, mittelbraune Haare, hel­ler bis leicht gebräunter Teint – wäre der von vornherein erwartbare Nutzen der Anwen­dung bei einem solchen Ergebnis also nicht unbedingt gegeben. Am höchsten wäre die Zu­ver­läs­sig­keit, wenn diese Gruppe sehr klein wäre und die Bevölkerung nur aus zwei gut un­ter­scheid­­baren Gruppen bestünde: etwa sehr hell pigmentierten und sehr dunkel pig­men­tierten Men­schen, denn dann wäre das Unterscheidungspotential besonders groß.

Selbst wenn ein eindeutigen Analyse-Ergebnis gewährleistet wäre, könnten die Methoden al­so nur dann den Ermittlungen helfen, wenn sie auf ein vor Ort relativ seltenes Merkmal hin­weisen: In Deutschland z.B. dun­kle Haut; sehr dunkle Haare und Augen; oder ausschließlich asi­atische oder afrikanische Vorfahren. Denn nur dann lässt sich der Kreis der Verdächtigen deutlich einschränken. Gerade dann ist aber besonders hohe gesellschaftliche Sensi­bilität ge­fragt, weil es sich um Min­derheiten handelt, die bereits jetzt mit Stigmatisierung und Dis­kri­mi­nie­rung konfrontiert sind.

Niedrig wäre der Nutzen, wenn die Mehrheit der vor Ort lebenden Bevölkerung diese Merk­mals­­­kom­bi­nation aufweist, denn dann lässt sich keine sinnvolle Fokussierung ableiten. Deutet die Analyse z.B. auf helle Haut, braune Augen und mittelblondes Haar hin, trifft dies in einer deutschen Stadt auf so viele Menschen zu, dass sich der Kreis der Verdächtigen nicht aus­rei­chend einschränken lässt, um z.B. eine DNA-Reihenuntersuchung zu ermöglichen. Nützlich sind die Ergebnisse also nur, wenn sie erstens zuverlässig sind und zweitens auf ein seltenes Merkmal hinweisen. Damit geraten vor allem Minderheiten in den Blick. 

ANHANG 3: FAQs – Offene Fragen

Kann der Datenschutz zum Problem werden?

Generell stellen DNA-Daten und DNA-Daten­ban­ken – auch in staatlichen Kontexten – da­ten­schutz­recht­liche Herausforderungen dar, mit denen die Datenschutzbe­hör­den in Deutsch­land überfordert sind, weil ihnen die spezifische Expertise fehlt. Beim FDP muss darauf ge­ach­tet wer­­­den, dass genetische Marker, die auch Auskunft über Krank­heits­dis­po­si­tionen geben kön­nen, mit großer Vorsicht behandelt wer­den. Entweder müssten sie aus der Analyse ausge­schlos­sen werden; oder zwischen dem analysierenden Labor und den Ermittlungsteams dürf­ten keine Informationen über die Marker kommuniziert werden, sondern nur die vorher­ge­sagte Haar-, Haut- oder Augenfarbe. Eine solchermaßen klare Trennung zwischen analysierendem Labor und ermittelndem Team wäre schwierig aufrechtzuerhalten, falls die Ermittlungsbe­hör­den die DNA-Analysen selbst durchführen und nicht an ein universitäres Labor vergeben.

BGA-Analysen wären datenschutz­rechtlich heikel, denn es han­delt sich bei BGA nicht um äu­ßer­lich sichtbare Merkmale. Zwar lassen ganz spezi­fi­sche BGA-Ergebnis­se einen in­di­rek­ten Rückschluss auf äußere Merkmale zu, aber in vielen Kontexten ist die geografische Her­kunft eines Menschen nicht äußerlich er­kenn­bar. In Europa (bzw. auf dem eurasischen Kon­tinent) gilt dies insbesondere für die Be­stim­mung sub- und zwi­schen­kontinentaler BGAs.

Ausführlich zur Datenschutzproblematik genetischer Daten: Weichert (2017); Weichert (2018); Momsen/Weichert (2018)

Welche Fälle sind geeignet für den Einsatz der Technologien?

Nicht jeder Fall eignet sich für einen Einsatz der Technologien; tatsächlich schränken schon ermittlungstaktische Gesichtspunkte die Anzahl der potentiellen An­wen­dungs­­fäl­le stark ein:

  • Die DNA-Spur sollte eindeutig dem Täter oder der Täterin zuzuordnen sein. Dies ist bei Gewaltverbrechen öfters der Fall als etwa bei Wohnungseinbrüchen (DNA-Spuren etwa am äußeren Fens­ter­kreuz können auch vom Reinigungspersonal stammen). Bei Mischspuren verschiedener Personen werden zusätzliche Probleme in der Zuordnung auftreten.
  • Die Bevölkerung sollte hinsichtlich des Analyse-Ergebnisses deutlich in min­des­tens zwei Gruppen zu unterscheiden sein: z.B. zwei Gruppen, deren BGAs sehr weit voneinander entfernt liegen, oder die entweder hell oder dunkel pigmentierte Haut haben.
  • In Regionen, in denen zwischen solchen Gruppen Integration stattfindet, wie z.B. in Städ­ten, ist die Methode unzuverlässig.
  • Das Analyse-Ergebnis sollte nicht auf „Mischwerte“ bei der Pigmentierung oder auf eine „gemischte“ BGA hinweisen, denn dann ist es vom wissenschaftlichen Standpunkt her we­nig verlässlich. Auch von der operationellen Seite her werden solche Aussagen wenig hilfreich sein können.
  • Für die Interpretation und Weiterverwendung von anspruchsvollen, komplizierten Ana­lyse-Ergebnissen bedarf es spezieller Expertise, also erhöhte Personal­res­sour­cen.

Innerhalb einzelner Fallkategorien sind keine großen Durch­brüche zu erwarten; die meisten Se­xualmorde etwa sind Beziehungstaten, die relativ zügig mit herkömm­li­chen Ermittlungs­me­thoden aufgeklärt werden können. Für ‚cold cases’ scheint der Ein­satz bei Schwerverbrechen, bei denen keinerlei brauch­ba­rer Ermittlungsansatz ge­­funden wurde, und bei denen kein Zeit­druck den vor­sich­ti­gen und verantwortungs­vollen Umgang beeinträchtigt, gerechtfertigt und sinnvoll.

All das schränkt die Anzahl der Anwendungsfälle, in denen ausreichend hohe wis­sen­schaft­lich-technische Qualität und gleichzeitig gesellschaftliche Sensibilität er­reicht werden können, stark ein. 

Ausstattungsfragen: Wer soll die Technologien anwenden, und wie oft?

Im Gesetzesentwurf wird eine technische Ausrüstung beschrieben, die vermuten lässt, das es nicht um Einzelfallanwendungen geht, sondern eher um Routine-An­wen­dun­gen, und zwar durch­geführt an den Landeskriminalämtern, für die Geräte gefordert werden. Höhe­re Per­so­nal­­kosten sind nicht vor­­ge­sehen, auch keine Investitionen in Training, Forschung und uni­ver­si­täre Forensische Ge­netik. Wer in einem solchen Szenario die Anwendungs­qua­lität garan­tie­ren soll, bleibt unklar.

Können die Technologien mehr Sicherheit garantieren?

Das Potential der Technologien, potentielle Opfer zu schützen, bleibt auf jene Fälle be­schränkt, in denen ein Serientäter von weiteren Gewalttaten abgehalten werden kann. Ohne Zwei­fel wecken diese Fälle starkes öffentliches Interesse; sie mögen das Sicherheitsgefühl mas­siv beeinträchtigen, aber sie sind sehr selten. Bei Wohnungs­ein­brüchen, die ebenfalls das Sicherheitsgefühl massiv beeinträchtigen, wird sich nur sel­­ten eine eindeutig dem Täter zu­zu­ord­nende DNA-Spur auffinden lassen. Die Tech­­nolo­gien werden also keinen flächen­decken­den Sicherheitseffekt haben. (siehe dazu auch: Anhang 2: Diskriminierungseffekt)

Belegen die bisher bekannten Erfolge, wie valide und nützlich die Technologien sind?

Dem legalen Einsatz der Technologien in anderen Ländern werden nur wenige Er­fol­ge zu­ge­schrieben: Experten verweisen öffentlich auf ca. 5-6 Fälle in den letzten 20 Jah­ren, in denen BGA-Analysen (nicht FDP) als erfolg­brin­gend dargestellt werden. Zu den Einsätzen ins­ge­samt gibt es keine Statistik, keine Be­gleitforschung, keine re­tro­spektiven Fallanalysen: Es bleibt also selbst in den Län­dern, in denen der Einsatz recht­lich möglich ist, unbekannt, wie oft die DNA-Ana­ly­sen eben keinen brauchbaren Hin­weis lieferten, sondern die Ermitt­lun­gen fehl­ge­leitet haben, oder in wie vielen Fäl­len und mit welchen Me­thoden soziale Gruppen in den Fo­kus genommen wurden. Die we­ni­gen Erfolgs­ge­schich­ten stechen deshalb umso stär­ker her­vor. Wären sämtliche Einsatz­ge­schich­­ten, auch die ohne nutzbrin­gen­de An­wen­dung, mit derselben Offenheit er­zählt worden, hätte man in der Öffent­lichkeit kaum so wirk­sam für die Techno­lo­gien werben können.

Können Minderheiten mithilfe der Technologien entlastet werden?

ErmittlerInnen diskutieren und wägen im Laufe von Ermittlungen häufig ab, ob ein Verdacht tatsächlich konkret be­gründet ist oder ob es sich eher um eine Verdächtigung handelt, die z.B. auf allgemeinen Er­fah­rungswerten basiert, oder die aus der Bevölkerung kommt und eher auf  auf Voreingenommenheiten fußt. Die Gren­zen sind nicht immer klar zu ziehen. Der Einsatz der Technologien, um eine Minderheit von einem öffentlich geäußerten Verdacht zu ent­lasten, kann diese wichtigen Überlegungen nicht ersetzen. Zunächst ist also zu fragen, woher der Ver­­­dacht kommt und ob er stichhaltig ist. Ist dies nicht der Fall, ergibt sich die Frage, ob es verhältnismäßig ist, eine aufwendige und komplexe Technologie einzusetzen, um eine Min­derheit von einem unbegründeten Verdacht zu entlasten. Unserer Ansicht nach sollten die Technologien nur angewendet werden, wenn es einen begründeten Verdacht gibt und sich aus dem Technologie-Einsatz eine realistische Ermittlungshilfe ergeben würde.

Zudem ist die Entlastung von Minderhei­ten nur mög­lich, wenn die ErmittlerInnen sich der Ge­fahr der Fehlinterpretation bewusst sind. Im Falle des Heilbronner Phantoms führte eine BGA-Analyse nicht zur Entlastung der in den Fo­kus geratenen Minderheit, obwohl das Analyse-Er­gebnis nicht auf diese Gruppe hinwies (Lipp­hardt 2019).

Bevor der §81 StPO geändert wird, sind zahlreiche offene Fragen zu klären:

  • In welchen Fallkonstellationen wäre ein Einsatz der Erweiterten DNA-Analysen sinnvoll?
  • Welche Anforderungen ergeben sich daraus? Welche Sach­kom­pe­tenz ist dafür angemessen?
  • Welche Fehlerquellen gilt es zu berücksichtigen?
  • Wer wird die DNA-Analysen durchführen, interpretieren, anwenden; wie werden die Anwen­der­Innen ge­schult und auf ihre anspruchsvolle Aufgabe vorbereitet?
  • Welche unabhängige Institution wird die wichtige Aufgabe der Kontrolle und Re­gu­lierung polizeilicher DNA- Datenerhebung und -nutzung in Zukunft über­neh­men?
  • Wer bringt die notwendigen molekulargenetischen, statistischen und rechtssozio­lo­gi­schen Hinter­grund­kenntnisse ins Ermittlungsverfahren ein: ErmittlerInnen, RichterInnen, Staats­anwältInnen, Ver­tei­digerInnen, oder bedarf es einer zusätzlichen Instanz?
  • Welche checks and balances, welche Schulungen gibt es bereits und welche neu­en müssten mit einer Gesetzesänderung eingeführt werden, um sicher­zu­stel­len, dass Voreinge­nom­men­hei­t gegenüber Minderheiten nicht zu einseitigen In­terpretationen und vorschnellen Fest­le­gun­gen führen?
  • Welche Kosten entstehen durch die Sachverständigen-Gutachten, die mit der gebotenen Sach­­kompetenz zu erstellen sind? Welche Aufwendungen entstehen jenseits der Kosten für die technische Ausstattung – etwa für Schulungen und für die notwendigen Regulierungs­in­sti­tu­tionen? Wie können Ermittlungsmaßnahmen, die auf Erweiterte DNA-Analysen folgen – insbesondere DNA- Reihenuntersuchungen und Öffentlichkeitsfahndungen –, so gestaltet werden, dass da­durch Minderheiten nicht unter Generalverdacht ge­ra­ten oder stigmatisiert werden?
  • Welche Bedenken haben in Deutschland lebende Menschen bezüglich der Speicherung ihrer DNA-Daten (in Forschungsdatenbanken, im Gesund­heits­we­sen, im Polizeiwesen); und wie kann diesen Bedenken im Rahmen rechtlicher Regulierungen Rechnung getragen werden?
  • Wie kann einem möglichen Missbrauch der DNA-Daten (-banken) vorgebeugt werden?

Literatur

Bradbury C., Köttgen A., Staubach F.: Off-target phenotypes in forensic DNA pheno­ty­ping and biogeographic ancestry inference: A resource. Forensic Science Inter­na­tio­nal: Genetics (2019), 38, S. 93-104.

Brubaker, R.: Grounds for Difference. Harvard University Press, (2015).

Buchanan N., Staubach F., Wienroth M., Pfaffelhuber P., Surdu M., Lipphardt, A., Kött­gen A., Syndercombe-Court, D., Lipphardt, V.: Forensic DNA Phenotyping Legis­la­tion cannot be Based on „Ideal FDP“ – A Response to Caliebe, Krawczak and Kay­ser. Forensic Science International: Genetics (2018), e13-e14.

Caliebe A., Walsh S., Liu F., Kayser M., Krawczak, M.: Likelihood Ratio and Poste­rior Odds in Forensic Genetics: Two Sides of the same Coin. Forensic Science Inter­national: Genetics 28 (2017), S. 203-210.

Cheung E., Gahan M.E., McNevin, D.: Prediction of biogeographical ancestry from genotype: a comparison of classifiers. International Journal  for Legal Medicine (2016), 131(4), S. 901-912.

Deutschlandfunk: Den Tätern auf der Spur, von Gudula Geuther, Ludger Kazmier­czak (20.06.2017), [Online], http://www.deutschlandfunk.de/erweiterte-dna-analyse-den-taetern-auf-der-spur.724.de.html?dram:article_id=389187 (letzter Zugriff am 28.06.2018)

Kayser M.: Forensic DNA Phenotyping: Predicting Human Appearance from Crime Scene Ma­terial for Investigative Purposes. Forensic Science International: Genetics (2015), 18, S. 33-48.

Kayser M.,  Knijff, P. de: Improving human forensics through advances in genetics, genomics and molecular biology. Nature Reviews Genetics (2011) 12, S. 179-192.

Kayser M.: Predictive values in Forensic DNA Phenotyping are not ne­ces­sa­ri­ly prevalence-dependent. Forensic Science International: Genetics (2018), 33, e7-e8.

Lipphardt V.: Vertane Chancen? Die aktuelle politische Debatte um Erweiterte DNA‐Analysen in Ermittlungsverfahren. Berichte zur Deutschen Wissenschafts­ge­schichte (2018), 41, S. 279-301.

Lipphardt A.: Die Erfindung des „Heilbronner Phantoms“. Kulturanthropologische Annäherungen an den NSU-Komplex. Zeitschrift für Volkskunde (2019), 115, S. 50-70.

M’charek A.: Silent Witness, Articulate Collective: DNA Evidence and the Inference of Visible Traits. Bioethics (2008), 22(9), S. 519-528.

Momsen C., Weichert T.: Vom DNA-Tracing zum DNA-Phenotyping. Freispruch 13 (2018), S. 37-40.

Ossorio P.N.: About Face: Forensic Genetic Testing for Race and Visible Traits. The Journal of Law, Medicine & Ethics (2006), 34(2), S. 277-292.

Rath C.: Erweiterte DNA-Fahndung. Hat auch nichts gebracht. Um den „Allgäuer Trieb­täter“ zu fassen, ermittelten bayerische Beamte deren wahrscheinliche Augen- und Haarfarbe. Ohne Erfolg. taz, 01.08.2019.

Roewer L., Zieger M.: Plädoyer für eine nationale Ethikkommission für die erweiterte Forensische DNA-Analyse. Rechtsmedizin (2019), 5/2019.

Schneider P. /Autoren-Kollektiv STS@Freiburg (2017), Pro und Contra: Steckbrief per DNA-Spur? Recht und Politik (2017), 53(2), S. 220-221.

Schneider P., Stellungnahme der Spurenkommission zu den Möglichkeiten und Gren­­zen der DNA-gestützten Vorhersage äußerer Körpermerkmale, der bio­geo­gra­phi­schen Herkunft und des Alters unbekannter Personen anhand von Tatortspuren im Rahmen polizeilicher Ermittlungen vom 14. Dezember 2016, Seite 1, http://www.gednap.org/wp-content/uploads/2016/12/Stel-lungnahme_DNA-Vorhersage_Spurenkommission_2016-12-141.pdf (letzter Zugriff am 18.08.2019)

Staubach F., Buchanan N., Köttgen A., Lipphardt A., Lipphardt V., Mupepele A., Pfaffel­hu­ber P., Surdu M. u. Wienroth M.: Germany: Note limitations of DNA legislation. Cor­respondence. Nature (2017), 545, S. 30.

Toom V. et al: Approaching Ethical, Legal and Social Issues of Emerging Forensic DNA Phenotyping (FDP) Technologies Comprehensively: Reply to ‘Forensic DNA Phe­notyping: Predicting Human Appearance from Crime Scene Material for Investi­gative Purposes’ by Manfred Kayser, Forensic Science International: Genetics 22 (2016), e1-e4.

Weichert T.: Genetische Forensik und Datenschutz, Vorgänge. Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik (2017), 218, S. 123-134.

Weichert T.: Forensische DNA-Analysen und der Datenschutz, Datenschutz und Sicherheit (DuD) (2018), 6, S. 358-363.

Weitz S., Buchanan N., Eine Technologie der Angstkultur, Freispruch 11 (2017), 20-21

Wienroth M., Socio-technical disagreements as ethical fora: Parabon NaonLab’s forensic DNA SnapshotTM service at the intersection of discourse around robust science, technology validation, and commerce. Biosocieties, 2019, S. 1-18.

Wienroth M., Governing anticipatory technology practices. Forensic DNA pheno­ty­ping and the forensic genetics community in Europe. New Genetics and Society (2018), 37, S. 137-152.

Williams, R., Wienroth, M., Social and Ethical Aspects of Forensic Genetics: A Critical Review, Forensic Science Review (2017), 29(2), S. 145-169.


Fußnoten

(1) taz, 12.09.2019, Justizministerin zur DNA-Strafverfolgung: „Das ist keine Stigmatisierung!“

(2) Kayser/Knijff (2011) zählen zudem weitere ethische Risiken auf: „[…] privacy and data pro­tec­tion, the ‘right not to know’, and preventing ‘slippery slopes’.“ Ihre Einschätzung dazu lautet:  „These are serious is­sues, but their par­ti­cu­lar rele­vance to FDP should not be overestimated“ (Box 2, S. 183). Die Autoren verweisen auf Ossorio (2006).

(3) Ausführlich zu den divergierenden Ansichten siehe Lipphardt (2018). Der Text diskutiert außerdem die Beteili­gung Forensischer GenetikerInnen am öffentlichen Diskurs sowie unterschied­liche Vorstellungen von ver­ant­wor­tungsvollem Handeln in der Politikberatung.

(4) „Die genannten äußerlich sichtbaren Körpermerkmale können nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen durch Untersuchungen genetischer Informationen mit hinreichender Vorhersagegenauigkeit bestimmt werden“; Referentenentwurf (2019), S. 27. Der Gesetzesentwurf verweist für diese Information auf eine Stellungnahme der Spurenkommission von 2016, deren Informationen aber inzwischen auch von Peter Schneider, dem Vorsitzenden der Spurenkommission, mehrfach relativiert wurden.

(5) Kayser (2017), ohne Seitenangabe; siehe auch folgende Reaktion: Buchanan et al (2017).