Die Freiburger Wissenschaftsinitiative, die sich für den differenzierten Umgang mit erweiterten DNA-Analysen in der Forensik einsetzt, unterstützt die aktuelle Stellungnahme des Netzwerks Datenschutzexpertise zum neuen Polizeiaufgabengesetz (PAG), welches derzeit in Bayern verhandelt wird:

Stellungnahme des Netzwerks Datenschutzexpertise zum Gesetzentwurf der Bayerischen Staatsregierung zur Neuordnung des bayerischen Polizeirechts (PAG-Neuordnungsgesetz) v. 30.01.2018 (Bayerischer Landtag LT-Drs. 17/20425, künftig zitiert: PAG-E) hinsichtlich der polizeilichen Erhebung und Verarbeitung bzw. Auswertung von DNA-Daten.

Die Stellungnahme finden Sie hier.

Den Entwurf zur Neuregelung des bayerischen PAG finden Sie hier.

Aus wissenschaftlicher Sicht möchten wir dazu Folgendes ergänzen:
Der Gesetzentwurf zur Reform des bayerischen Polizeirechts geht von falschen Fakten aus. Er stützt sich hinsichtlich der wissenschaftlichen Grundlagen der DNA-Analysen auf den bayerischen Gesetzesentwurf zur Reform des §81 StPO und damit auf die Wahrscheinlichkeitsangaben, die wir bereits seit über einem Jahr kritisieren, und zwar aus folgenden Gründen:

  • Die angegebenen Prognosesicherheiten sind nicht die für den Ermittlungsfall relevanten Wahrscheinlichkeiten und irreführend hoch. Die genauen Vorhersagewahrscheinlichkeiten sind momentan Gegenstand der Forschung und können je nach untersuchter Gruppe und untersuchter Eigenschaft deutlich schwanken. Einzig für die Augenfarbe gibt es weiterführende Analysen, die die ermittlungsrelevanten Wahrscheinlichkeiten anführen (Caliebe et al 2017). So kann die Vorhersageswahrscheinlichkeit für braune Augen in Populationen, in denen diese selten sind, auf 65% sinken (Caliebe et al 2017). Weil die Vorhersage für seltene Merkmale ungenauer werden kann, aber genau in diesen Fällen für die Fokussierung auf eine kleinere Gruppe besonders nützlich zu sein scheint, ergibt sich bei der Methode der phänotypisierenden DNA-Analyse systembedingt ein doppeltes Diskriminierungsrisiko in Bezug auf Personengruppen mit seltenen Merkmalen.
  • Aus wissenschaftlicher Sicht ist insbesondere die angebliche Genauigkeit, mit der die „biogeografische Herkunft“ (engl. “biogeographical ancestry”, im Folgenden: BGA) in einer Ermittlung abgeleitet werden kann (99.9%), äußerst spekulativ. Sie lässt nur sehr bedingt Rückschlüsse auf die tatsächliche Herkunft einer Person zu. Die Ergebnisse hängen davon ab, welche Referenzdatenbank für eine Untersuchung herangezogen wird. Die gegenwärtig von deutschen Forensikern benutzten Referenzdatenbanken sind auf (vermeintlich) „reine Bevölkerungsgruppen“ (pure ancestry populations) ausgerichtet und verwenden in erster Linie Y-chromosomale oder mitochondriale Marker. Diese beschreiben entweder die väterliche oder mütterliche Abstammung und sind daher nicht geeignet, die Komplexität von Migration, multiethnischen Gesellschaften und Sexualbeziehungen zwischen Menschen mit unterschiedlicher Herkunft adäquat widerzuspiegeln. Nähere Angaben zur Bestimmungsmethode enthält der Entwurf aber nicht.

Die erzielbaren Wahrscheinlichkeitsaussagen werden sich aus den genannten Gründen regelmäßig auf einem niedrigeren Niveau bewegen. Sie sind abhängig von der untersuchten Gruppe, der Referenzgruppe sowie von der verwendeten Methode. Dies hat zur Folge, dass keine pauschalen forensischen Wahrscheinlichkeitsaussagen gemacht werden können, diese vielmehr für jede Einzeluntersuchung und für jedes Merkmal unter Bezugnahme auf das angewandte Modell und die verfügbaren Referenzdaten getroffen werden müssen.

Bei BGA handelt es sich außerdem nicht – wie behauptet wird – um ein äußerlich erkennbares Merkmal. Diese Behauptung geht von der nicht nur fehleranfälligen, sondern vorurteilsbelasteten Annahme aus, dass „biogeografische Herkunft“ „Ethnizität“ sei und mit definierten äußeren Merkmalen in Verbindung gebracht werden könne.

Es ist außerdem zu berücksichtigen, dass in den bisherigen Studien mit hochqualitativem Versuchsmaterial und nicht mit Spurenmaterial gearbeitet wurde. Wie hoch die Vorhersagewahrscheinlichkeiten für die verschiedenen Merkmale angesichts von DNA-Degradierung oder Kontaminationen durch die DNA Dritter wäre, ist bisher unzureichend untersucht. Es ist jedoch anzunehmen, dass diese niedriger ausfallen oder dass, bedingt durch mangelhafte Spurenqualität, eine Vielzahl an Spuren nicht für die weiterführende DNA-Analyse zugelassen werden dürfte.

Freiburg, 21.3.2018